Entscheidend für die Haltung gegenüber einem Menschen, der verroht wurde, ist, ob sich um wenigstens teilweise um mitfühlende und andere verstehende Beziehungen bemüht. Wenn er es ablehnt, sich in andere hineinzuversetzen, vor allem deren Leiden anzuerkennen, und die eigenen Gewalterfahrungen als “richtig” darstellt und weitergibt, dann ist er als Mensch ohne Mitgefühl und damit als bösartig zu bezeichnen:
Eine Gruppe „Alt und Jung“ trifft sich einmal wöchentlich donnerstags nachmittags im Pflegeheim. „Alt“ sind die Bewohner/innen des Hauses; „jung“ Schüler einer nahegelegenen Realschule im Alter von ca. 12/13 Jahren. Herr D. ist zum ersten Mal dabei und sieht zu, wie die Jugendlichen auf ihrem Handy spielen. Er versteht nicht, was sie tun, und fragt nach. Ein Junge erklärt ihm geduldig ein „Ballerspiel“.
Plötzlich beschimpft und beschämt Herr D. den Jungen. „Weichei“ und „Schlappschwanz“ waren noch die freundlichsten Bezeichnungen. “Bei Hitler wär´st du nichts geworden!” Seine Generation, ja das waren die „echten Kerle“. „Wir haben so ein Scheiß` nicht gebraucht, wir haben noch mit echten Granaten und Bombensplitter gespielt“.
Sie merken sicher, dass es uns wichtig ist zu betonen, in verrohten alten Menschen auch die Opfer zu sehen, die sie einmal waren. Doch wir sind der Überzeugung, dass jeder Mensch irgendwann in seinem Leben die Wahl hat oder hatte, zumindest zu versuchen, den Weg des Bösen zu verlassen (und sich dabei Unterstützung zu holen). Manche Menschen bemühen sich darum – und davor haben wir großen Respekt. Andere bleiben in ihrem Rohsein und damit Täter-Sein verhaftet und richten sich darin ein. Dann bedarf es, auch wenn sie alt und pflegebedürftig sind, anderer Reaktionen im Umgang mit ihrer Aggressivität und Gewalttätigkeit, als bei denen, die aus Unsicherheiten, Verwechslungen, Überforderungen und anderen Gründen aggressiv werden.
Udo Baer, Gabriele Frick-Baer, Gitta Alandt: Wenn alte Menschen aggressiv werden Rat für Pflegende und Angehörige, BELTZ Verlag, ISBN: 978-3-407-85986-0
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